Warum mehr potenzielle Organspender nicht zwingend mehr tatsächliche Organspenden bewirken

Vor wenigen Tagen wurde das digitale Organspende-Register eingerichtet. Es soll dazu beitragen, die Zahl der Organtransplantationen zu erhöhen. Die Unstatistik des Monats März ist in diesem Zusammenhang die in der FAZ abgedruckte Aussage des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach, „dass wir langfristig die Zahl der Organspenden nur erhöhen können, indem wir die Widerspruchslösung einführen“. Denn das Problem lässt sich längst nicht so einfach lösen.

Zwei neuere wissenschaftliche Studien zeigen, dass das Problem nicht durch eine Widerspruchslösung behoben werden kann. Diese erhöht zwar die Anzahl der potenziellen Organspender, nicht aber die Anzahl der tatsächlichen Spender. Eine in der Fachzeitschrift „kidney International“ veröffentlichte Studie britischer Wissenschaftler verglich 17 OECD-Länder mit Widerspruchslösung mit 18 OECD-Ländern mit Zustimmungsregel. Es gab keinen statistisch bedeutsamen Unterschied im Anteil der tatsächlichen Organspender. Die Länder mit Widerspruchslösung hatten aber weniger Spenden von lebenden Personen.

Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung analysierte fünf Länder, die von einer Zustimmungsregel auf eine Widerspruchsregel umstellten (Argentinien, Chile, Schweden, Uruguay und Wales). Der Wechsel führte zwar zu einem Anstieg der potenziellen Spender, nicht aber zu einem Anstieg der tatsächlichen Organspender. 

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Unstatistik des Monats: Statistisches Phänomen – Signifikante Nebenwirkungen von Corona-Impfungen wohl seltener als in Studie ermittelt

Seit Beginn der Corona-Impfkampagnen wird intensiv über mögliche Nebenwirkungen dieser Impfungen diskutiert. Eine neue, groß angelegte Studie, über die unter anderem von focus.de („99 Millionen Menschen analysiert - Riesen-Studie zeigt die häufigsten Nebenwirkungen der Corona-Impfung“) und in dem Gesundheitsmagazin FITBOOK („Bisher größte Studie zu Corona-Impfungen identifiziert mögliche Folgeerkrankungen“) berichtet wurde, hat nun das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen der Corona-Impfungen genauer untersucht und herausgefunden, dass die Impfung das Risiko für das Auftreten von Autoimmunkrankheiten (das Guillain-Barré-Syndrom, eine seltene Autoimmunkrankheit, bei der das Immunsystem des Menschen die eigenen Nervenzellen zerstört und disseminierte Enzephalomyelitis), Venensinusthrombosen und Herzmuskelentzündungen (Perikarditis, Myokarditis) signifikant erhöht.

Pflegerin mit Impfung
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Unerwarteter Abschied von ggw – ein Nachruf

Acht Jahre waren es letztlich – nur. Die Zusammenarbeit begann mit Gert Wagners und Gerd Gigerenzers gemeinsamer Besetzung des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen am Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Drei Verbrauchergutachten zur Digitalisierung der Gesundheit, Digitaler Souveränität bis hin zu Verbraucherscorings konnte das Harding-Zentrum unterstützen. Aus der gemeinsamen Forschung entstanden Arbeiten zu Algorithmen, die relevante Entscheidungen in unserer Gesellschaft beeinflussen – sei es im Kreditscoring, der Telematik oder in Bonusprogrammen der Krankenkassen. Gert Wagner hatte dabei stets jene im Blick, über die Algorithmen befanden. Er identifizierte kritische Debatten abseits der üblichen Diskussionen, z.B. wie Frauen davon profitieren, wenn Algorithmen geschlechtsabhängig entscheiden. Arbeiten mit seiner Handschrift, zum Citizen Scoring, Impfaufklärung und Pflegerobotik, werden auch jetzt noch abgeschlossen. Sie spiegeln wider, wie themenbreit er aufgestellt war. Er war ganz vorn mit dabei, wenn es um die sich wandelnde Gesellschaft inmitten von Algorithmen, Robotik und KI ging.

Vor allem war er ein enthusiastischer Forscher. Mit dem Smartphone aus administrativen Verpflichtungen heraus kommentierte er mal eben ganze Publikationen („Manuskript_ggw.docx“). Und die Sache stand immer im Vordergrund. Daher unterstützte er das Harding-Zentrum, unterstützte er uns, den Nachwuchs. Er öffnete Türen und schaffte immer gern Gelegenheiten. Im Besonderen zeichneten ihn noch zwei weitere Eigenschaften aus. Erstens, dass er ein Mensch war, der im Erreichen der einflussreichsten Positionen das große Ganze, die Gesellschaft in Deutschland und vor allem den sozialen Ausgleich und die notwendigen Aushandlungen im Blick hatte. Und zweitens, dass er mutig war. Zum Beispiel fuhr er persönlich in die Höhle des Löwen, um die Jury als Empfänger eines Negativpreises argumentativ doch noch für sein Anliegen zu gewinnen.

Nun werden wir mutig sein. In diesem Jahr scheinen die Herausforderungen unserem Zentrum die Zukunft zu verstellen. Doch gerade für eine Zukunft unserer Methoden und Prinzipien lohnt es sich angesichts einer instabilen Welt zu streiten. 

Neben tiefempfundenem Mitgefühl für seine Frau und die Familie und unserer Trauer über sein Fehlen, erfüllt uns tiefe Dankbarkeit dafür, ein Teil seines Lebens gewesen zu sein. Es endete am Sonntag, den 28. Januar 2024.

Gert G. Wagner
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Deutsche sind die armen Schlucker Europas

Schock-Zahlen: Das Vermögen deutscher Haushalte im europäischen Vergleich dramatisch niedrig“ und „Arme Schlucker Europas? EU-Vergleich zeigt, wie wenig Vermögen die Deutschen haben“ titelten die „Bild“-Zeitung und der „Focus“ Anfang dieses Jahres. Nicht wenige dürften überrascht sein, titelte der „Focus“ doch noch im Januar 2022 „Rekordwert von fast 7,7 Billionen Euro: Deutsche so reich wie nie zuvor“.

Grundlage dieser Beiträge ist ein von der Europäischen Zentralbank (EZB) vorgenommener Vergleich der Vermögensbestände und der Vermögensverteilung von Haushalten in der Europäischen Union. Demnach rangierten deutsche Haushalte unter 20 europäischen Ländern mit einem Medianvermögen von 106.000 Euro im Jahr 2023 nur auf Rang 15, knapp vor den Haushalten in Griechenland mit einem Medianvermögen von 97.000 Euro und hinter slowakischen Haushalten mit einem Medianvermögen von 116.000 Euro. Das Medianvermögen bezeichnet die Höhe des Vermögens, bei dem die Hälfte der Menschen im jeweiligen Land darunter und die andere Hälfte darüber liegt. Verwendet man statt dem Medianvermögen das arithmetische Mittel des Vermögens (das im allgemeinen Sprachgebrauch auch gerne als Durchschnittsvermögen bezeichnet wird), liegt Deutschland mit 413.000 Euro auf Rang 9, knapp vor den Niederlanden mit 407.000 Euro und hinter Spanien mit 420.000 Euro. Dass Deutschland beim Durchschnittsvermögen besser abschneidet als beim Medianvermögen, liegt an der vergleichsweisen hohen Vermögensungleichheit in Deutschland, da es in Deutschland viele hohe Vermögen gibt. 

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Pisa-Schock: Nur die Spitze des bildungspolitischen Eisbergs

Als ob dieses Jahr nicht schon genug schlechte Nachrichten mit sich gebracht hätte, erfasste Deutschland im Dezember ein weiterer Schock: Die neuesten Ergebnisse der PISA-Studie der OECD. Demnach haben die Schülerinnen und Schüler in Deutschland im Jahr 2022 noch schlechter abgeschnitten als diejenigen in der ersten PISA-Studie im Jahr 2001. Zur Erinnerung: Damals lagen die Ergebnisse der Fünfzehnjährigen unter dem OECD-Durchschnitt, was den ersten PISA-Schock auslöste. Entsprechend titelte tagesschau.de „Neue PISA-Studie: Deutsche Schüler schneiden so schlecht ab wie nie“. Die der Veröffentlichung nun folgenden Interpretationen und Verbesserungsvorschläge  – bis hin zu Forderungen, aus der PISA-Studie auszusteigen, wie sie beispielsweise bei deutschlandfunk.de geäußert wurde – folgen weitgehend den Mustern, die wir bereits aus früheren Jahren kennen.

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Unstatistik des Monats: Antisemitismus – nur ein rechtes Problem?

Die Unstatistik des Monats November ist eine Meldung verschiedener Medien, die eine deutliche Zunahme judenfeindlicher Gewalt in Deutschland und deren vorwiegend rechte Motivation thematisiert. Auf ihrem X-Account schreibt ZEIT Online unter Bezugnahme auf die eigene Internetseite: „Laut einem Bericht gibt es mehr judenfeindliche Gewalt in Deutschland. Sie kommt vor allem aus dem rechten Spektrum.“ Dabei beruft sich die ZEIT auf einen Bericht aus der Rheinischen Post, der wiederum die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion an den Bundestag zitiert. Bei ntv heißt es: „Antisemitische Straftaten nehmen sprunghaft zu.“ 80 Prozent davon seien dem rechten Spektrum zuzuordnen. ZDF und Süddeutsche Zeitung legten fast wortgleich nach.

Davidsterne
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Unstatistik des Monats: Radelt halb Deutschland zur Arbeit?

Die Unstatistik des Monats Oktober ist ein LinkedIn-Beitrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV). Unter der auffälligen Überschrift „45 Prozent fahren mit dem Rad zur Arbeit“ wird eine Grafik gezeigt, die herausstellt, dass das Fahrrad „mehr als nur ein Freizeitspaß“ sei. „Fahrräder und E-Bikes erobern unseren Alltag“, behauptet das BMDV. In der Tat wäre es recht bemerkenswert, wenn trotz der traditionell recht autofreundlichen Politik inzwischen fast halb Deutschland mit dem Rad zur Arbeit führe.

Fahrradlenker
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Gerd Gigerenzer wird Vizepräsident des European Research Council (ERC)

Der Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften und Honorarprofessor der Universität Potsdam, Prof. Gerd Gigerenzer, wurde zum neuen Vizepräsidenten für Sozialwissenschaften des renommierten European Research Council (ERC) gewählt und tritt sein Amt zum 1. Januar 2024 an. Als einer von drei Vizepräsidenten des ERC wird Prof. Gigerenzer eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung und Umsetzung von Forschungsförderungsstrategien und -programmen in Europa spielen. Seine Erfahrungen in der interdisziplinären Forschung und sein langjähriger Einsatz für die Förderung wissenschaftlicher Exzellenz werden dazu beitragen, die herausragende Forschungslandschaft in Europa weiter zu stärken. Der Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften und Honorarprofessor der Universität Potsdam, Prof. Gerd Gigerenzer, wurde zum neuen Vizepräsidenten für Sozialwissenschaften des renommierten European Research Council (ERC) gewählt und tritt sein Amt zum 1. Januar 2024 an.

Mehr Informationen unter: https://www.uni-potsdam.de/de/medieninformationen/detail/2023-10-02-gerd-gigerenzer-wird-erc-vizepraesident-des-european-research-council-erc

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Prof. Gerd Gigerenzer fotografiert von Arne Sattler
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Brustkrebsfrüherkennung: Was Medien berichten und worüber sie schweigen.

In wenigen Tagen wird die Welt wieder pink, denn es beginnt der Brustkrebsmonat Oktober. Passenderweise gab es in den vergangenen Wochen zwei wichtige neue Nachrichten über Krebs-Früherkennung. Die Erste: Das höchste Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, der Gemeinsame Bundesausschuss, kündigte am 21. September an, die Altersgrenze der kostenlosen Brustkrebsfrüherkennung für gesetzlich Versicherte von 69 auf 75 Jahre anzuheben. Die zweite Nachricht kam von der bisher umfangreichsten Metastudie zu sechs Krebsscreenings mit über 2 Millionen Teilnehmern. Sie wurde am 28. August in JAMA, eine der angesehensten medizinischen Zeitschriften, veröffentlicht. Diese Metastudie fand keinen Hinweis, dass eine Teilnahme am Mammographie-Screening das Leben verlängert. Das gilt auch für Prostatakrebs-Screening mit PSA-Test, Stuhltest und Koloskopie für Darmkrebs und Niedrigdosis-Computertomographie (CT) für Lungenkrebs. Einzig die kleine Darmspiegelung (Sigmoidoskopie) scheint das Leben um etwa 3 Monate zu verlängern.

Brustkrebs pinke Schleife
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Der Mythos von den faulen Deutschen

Die Unstatistik des Monats August ist die Interpretation einer OECD-Statistik zur durchschnittlichen jährlichen Arbeitszeit in den Industrieländern. Deutschland liegt im Jahr 2022 weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Gerade einmal 1.341 Stunden je Erwerbstätigen wurden geleistet; der OECD-Schnitt lag bei 1.752 Stunden. Mexiko lag mit 2.126 Stunden an der Spitze.

Mit schöner Regelmäßigkeit werden diese Zahlen völlig fehlinterpretiert. Die „Rheinische Post“ schrieb Ende Juli vom „Mythos der fleißigen Deutschen“, der durch die Statistik „entlarvt“ würde. Schon im März behauptete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im „Informationsdienst Wissenschaft“ unter Berufung auf die OECD-Zahlen: „In der Bundesrepublik wird im Vergleich zu anderen Ländern wenig gearbeitet.“ Die vdi-Nachrichten kommentierten Anfang August: „Keiner arbeitet so wenig wie die Deutschen.“ Doch „Länder, in denen Menschen weniger arbeiten, sind in der Regel produktiver und wohlhabender.

Mann Schreibtisch
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