Unstatistik des Monats: Unfugs-Korrelation zwischen Impfquote und Übersterblichkeit

Die Unstatistik des Monats Dezember ist eine Studie von zwei Thüringer Wissenschaftlern, die die Landtagsabgeordnete Dr. Ute Bergner am 17. November der Thüringer Gesundheitsministerin Heike Werner überreicht hat und die in Printmedien wie der Südthüringer Rundschau, insbesondere aber in den Sozialen Medien intensiv diskutiert wird. Die Studie findet, dass für den Zeitraum zwischen der 36. und 40. Kalenderwoche zwischen der Übersterblichkeit in den Bundesländern und deren Impfquote eine positive Korrelation (0.31) vorliegt, obwohl man eine negative Korrelation erwarten würde. Oder, mit den Worten der Autoren der Studie: „Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit“.

 

Hand mit Spritze
©pexel, Karolina Grabowski

Zwar haben sich die Autoren von der Studie inzwischen bereits distanziert, sprechen nur noch von einer „Notiz“ und stellen in einer Stellungnahme klar: „Unsere Notiz beweist keineswegs, dass eine erhöhte Impfquote zu einer erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit führt“. Auch haben mehrere Faktenchecks, unter anderem vom MDRund der Tagesschau einige Probleme der Studie aufgezeigt. Sie haben jedoch einige zentrale Schwächen der Studie übersehen. Daher haben wir uns einmal die Daten zur Brust genommen, die Analyse repliziert und einige einfache zusätzliche Analysen durchgeführt.

Die gefundene Korrelation ist nicht robust…

Was genau haben die Autoren gemacht? Sie haben für die Kalenderwochen 36 bis 40 (6. September bis 10. Oktober 2021) die Sterbefallzahlen für die einzelnen Bundesländer genommen und mit den jeweils mittleren Sterbefallzahlen derselben Kalenderwochen für die Jahre 2016 bis 2020 verglichen. Der Quotient der Zahlen für 2021 und der entsprechenden Durchschnitte des Zeitraums von 2016 bis 2020 wird als Übersterblichkeit interpretiert: Ist der Quotient höher als 1, sind 2021 mehr Personen gestorben, als zu erwarten war; ist der Quotient kleiner als 1, sind in 2021 weniger Personen gestorben, als zu erwarten war. In einem zweiten Schritt haben die Autoren schließlich die Korrelation zwischen dieser Übersterblichkeit und der Impfquote in der Kalenderwoche 40 berechnet (zumindest gehen wir davon aus, da die Autoren die Informationen von der Seite des RKI bezogen haben und dort nur der jeweils letzte Stand der Impfquote ausgewiesen wird). Dabei wird über eine Gewichtung die unterschiedliche Bevölkerungsgröße der Bundesländer berücksichtigt.

Wenn wir diese Analyse wiederholen, erhalten wir identisch dasselbe Ergebnis: Zwischen der Impfquote und der Übersterblichkeit ergibt sich eine positive Korrelation von 0.31 bei einem möglichen Wertebereich zwischen 0 und 1. Aber diese Korrelation ist im statistischen Sinne nicht signifikant. Mit anderen Worten: Man kann nicht ablehnen, dass sie Null ist, also nur ein rein zufälliges Muster zwischen Impfquote und der Übersterblichkeit sichtbar wird, das auf zufälligen Schwankungen der zugrunde liegenden Daten beruht. Welche Auswirkungen das hat, lässt sich leicht sichtbar machen, indem man einfach andere Kalenderwochen betrachtet. Denn man kann sich nun berechtigterweise fragen, warum man ausgerechnet die Kalenderwochen 36 bis 40 untersucht. Gut – wiederholen wir die Analyse für die Kalenderwochen 20 bis 40. Ergebnis: Ebenfalls eine positive Korrelation, wenn auch nur halb so hoch (0.14) und ebenfalls nicht statistisch signifikant. Nehmen wir neuere Daten hinzu und analysieren die Kalenderwochen 36 bis 44 ergibt sich eine negative Korrelation (-0.37), ebenfalls nicht signifikant. Fazit: Die Ergebnisse sind alles andere als robust – wenn man aus dieser Analyse etwas folgern möchte, dann dass zwischen der Impfquote und der Übersterblichkeit keine Korrelation existiert.

…und zeigt keinen ursächlichen Zusammenhang

Doch selbst wenn man eine signifikant positive Korrelation finden würde, wäre dies eben nur eine Korrelation und könnte mindestens aus zwei Gründen nicht kausal interpretiert werden. Zum einen verwenden die Autoren die in der 40. Kalenderwoche realisierte Impfquote der einzelnen Bundesländer. Und die soll die Übersterblichkeit in den Wochen vorher erklären? Wenn heute in Deutschland ein Meteorit einschlägt, lassen sich damit auch nicht die Sterberaten von vor zwei Wochen erklären. Zum zweiten dürfte die Kausalitätsrichtung wohl in die andere Richtung gehen: Wer heute noch nicht geimpft ist und Nachrichten über steigende Todesfälle durch Covid-19 liest, der wird sich womöglich doch schnell impfen lassen. Also NICHT „Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit“, SONDERN „Je höher die Übersterblichkeit, desto höher die Impfquote“.

Übersterblichkeit kann viele Ursachen haben

Und schließlich ist die Verwendung der „Übersterblichkeit“ als Messgröße für die Schwere der Pandemie durchaus sehr fraglich. Für diese Übersterblichkeit können viele Faktoren ursächlich sein, nicht nur die Pandemie. Nehmen wir daher einmal einen Indikator, der die Folgen der Pandemie direkter erfasst: Die vom RKI ausgewiesene 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz (also die ins Krankenhaus eingewiesenen COVID-19-Fälle unter den in den zurückliegenden 7 Tagen gemeldeten Covid-Fällen je 100.000 Personen). Berechnet man wie oben die Korrelation zwischen der Impfquote und der 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz, ergibt sich ein robustes und sehr eindeutiges Ergebnis: Für die Kalenderwochen 36 bis 40 sowie 20-40 ergibt sich eine signifikant negative Korrelation von -0.63. Erweitert man die Analyse auf die Kalenderwochen 36 bis 44, steigt die Korrelation auf -0.75. Auch dies ist nur eine Korrelation und keine kausale Beziehung. Aber sie ist robust und praktisch nicht mehr durch Zufall zu erklären.

Fazit: Um die kausale Beziehung zwischen Corona-Impfungen und der Sterblichkeit zu bestimmen, braucht es mehr als einfache Korrelationen. Die bisherige wissenschaftliche Evidenz von Analysen mit weit überzeugenderen Ansätzen lässt nur eine Interpretation zu – Impfen hilft (Ihnen und anderen). Also: Sollten Sie noch nicht geimpft sein, holen Sie das schnellstmöglich nach. Und bleiben sie gesund.

Das Unstatistik-Team wünscht schöne Feiertage.

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Ihre Ansprechpartner/in dazu:
Prof. Dr. Thomas K. Bauer (RWI)                   Tel.: (0201) 8149-264
Sabine Weiler (Kommunikation RWI),           Tel.: (0201) 8149-213, sabine.weiler@rwi-essen.de  

 

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik. Unstatistik-Autorin Katharina Schüller ist zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unter www.data-literacy-charta.de abrufbar.

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