Zwischen 2009 und 2018 führte ein Fehler in einem Computer-Algorithmus dazu, dass in Großbritannien rund 450.000 Frauen im Alter von etwa 70 die Einladung zum letzten Mammographie-Screening nicht erhielten. Dadurch könnte möglicherweise das Leben von 135 bis 270 Frauen verkürzt worden sein, erklärte der britische Gesundheitsminister Jeremy Hunt vor dem Parlament. Das Nachrichtenportal RT Deutsch berichtete daraufhin, dass „135 bis 270 Frauen unerkannt an Brustkrebs gestorben“ sein könnten und das Online-Portal des österreichischen Frauen-Lifestyle-Magazins WIENERIN schrieb: „Das könnte 270 Frauen das Leben gekostet haben.“
Sind also bis zu 270 Frauen wegen nicht-versandter Einladungen gestorben?
Nein. Und das aus zwei Gründen. Der erste ist einfach: Eine verkürzte Lebenserwartung bedeutet nicht, dass man bereits gestorben ist. Nur etwa eine von sieben Frauen, die im Alter von 70 Jahren eine Brustkrebsdiagnose erhalten, sterben in den nächsten fünf Jahren an Brustkrebs.
Der zweite Grund ist wichtiger und nicht ganz so einfach: Randomisierte Studien, bei denen etwa eine halbe Million Frauen unter Verwendung eines Zufallsmechanismus unterschiedlichen Gruppen zugeordnet wurden, ergaben keinen Nachweis, dass das Mammographie-Screening die Lebenserwartung erhöht. Vielmehr wurde gezeigt, dass sich die Sterblichkeit an Brustkrebs reduziert. Dies ist nicht das gleiche. Von je 1.000 Frauen, die über zehn Jahre am Screening teilnahmen, starb etwa eine weniger mit der Diagnose „Brustkrebs“, aber eine mehr mit einer anderen Krebsdiagnose. Daher wurde durch das Screening insgesamt kein Leben gerettet oder die Lebenserwartung verlängert. Hinzu kommt, dass pro 1.000 Frauen etwa fünf unnötigen Operationen oder Strahlenbehandlungen unterzogen wurden – unnötig, da sie einen nicht-progressiven, klinisch unbedeutenden Krebs haben, der diesen Frauen während ihres Lebens nie geschadet hätte. Letzteres bedeutet, dass die nicht-versandten Einladungen wahrscheinlich sogar hunderte von Frauen vor Schaden bewahrt haben.
Fazit: Eine Verringerung der brustkrebsspezifischen Sterblichkeit ist nicht das gleiche wie eine Erhöhung der Lebenserwartung. Und selbst wenn es eine Verringerung der Lebenserwartung für 270 Frauen gegeben hätte, dann hätte dies nicht bedeutet, dass diese 270 Frauen bereits gestorben sind. Dies sind feine, aber wichtige Unterschiede, die jeder Bürger und vor allem jede Frau kennen sollte, um sich nicht durch verdrehte Statistiken in sachlich unbegründete Aufregung und Angst versetzen zu lassen.
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