Brustkrebsfrüherkennung: Was Medien berichten und worüber sie schweigen.

In wenigen Tagen wird die Welt wieder pink, denn es beginnt der Brustkrebsmonat Oktober. Passenderweise gab es in den vergangenen Wochen zwei wichtige neue Nachrichten über Krebs-Früherkennung. Die Erste: Das höchste Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, der Gemeinsame Bundesausschuss, kündigte am 21. September an, die Altersgrenze der kostenlosen Brustkrebsfrüherkennung für gesetzlich Versicherte von 69 auf 75 Jahre anzuheben. Die zweite Nachricht kam von der bisher umfangreichsten Metastudie zu sechs Krebsscreenings mit über 2 Millionen Teilnehmern. Sie wurde am 28. August in JAMA, eine der angesehensten medizinischen Zeitschriften, veröffentlicht. Diese Metastudie fand keinen Hinweis, dass eine Teilnahme am Mammographie-Screening das Leben verlängert. Das gilt auch für Prostatakrebs-Screening mit PSA-Test, Stuhltest und Koloskopie für Darmkrebs und Niedrigdosis-Computertomographie (CT) für Lungenkrebs. Einzig die kleine Darmspiegelung (Sigmoidoskopie) scheint das Leben um etwa 3 Monate zu verlängern.

Brustkrebs pinke Schleife
Bild von Waldryano auf Pixabay

Wie gehen nun deutsche Medien damit um, wenn einerseits das Mammographie-Screening ausgeweitet wird, doch andererseits die wissenschaftliche Metaanalyse keinen Hinweis findet, dass es Leben verlängert? Man könnte beides berichten und sich dann fragen, warum Wissenschaft kaum zur Kenntnis genommen wird. Über die Metaanalyse war jedoch so gut wie nichts zu hören und lesen. Eine begrenzte Suche über Google, Yahoo und NewsReader für die vergangenen 4 Wochen ergibt 24 Medienberichte über die Ausweitung auf 75 Jahre, aber nur vier über die Metastudie. Letztere waren in der ÄrzteZeitung, Ärzteblatt, Medscape und Onkologie kompakt zu finden, alles medizinische Zeitschriften und Onlineportale, die von der allgemeinen Bevölkerung kaum gelesen werden.

Deutsche Medien erwähnen die Metastudie zu Krebsscreenings kaum

Die 24 Medienberichte über die Ausweitung des Mammographie-Screenings auf 75 Jahre erwähnten die wissenschaftlichen Ergebnisse der Metastudie nicht. Dazu gehört die tageschau.de, NDR, die Frankfurter Rundschau, der Berliner Tagesspiegel, der Stern, NWZ online und die Sächsische.de. Während sich die deutsche Medienlandschaft weitgehend ausschwieg, ist dies in anderen Ländern nicht passiert. Beispielsweise haben der Guardian, CNN und abc.net.au ausführlich berichtet.

In Deutschland wird mit dem Slogan „Screening rettet Leben“ geworben. Also denkt man, es sei bewiesen, dass man mit Screening länger statt ohne Screening lebt. Dem ist jedoch nicht so – mit der möglichen Ausnahme der kleinen Darmspiegelung. Der Gemeinsame Bundesausschuss behauptet auch nicht, einen Nachweis einer Verlängerung des Lebens durch Mammographie-Screening bei Frauen in irgendeinem Alter zu haben, sondern definiert Nutzen lediglich als Verringerung der brustkrebsspezifischen Sterblichkeit. Diese liegt bei Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren bei 1 in je 1.000 Frauen. Aber es ist schon lange bekannt, dass unter jenen, welche zur Früherkennung gehen, zugleich 1 in je 1.000 Frauen mehr mit einer anderen Krebsdiagnose stirbt (oft ist die Todesursache nicht eindeutig zuzuordnen). Also sterben gleich viele Frauen an Krebs (einschließlich Brustkrebs), mit oder ohne Mammographie-Screening. Damit wird klar, warum das Screening kein Leben rettet oder verlängert. Die Faktenbox des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Universität Potsdam macht diesen Sachverhalt für jeden einfach verständlich.  Diese Erkenntnisse könnte man ehrlich allen Frauen erklären, aber stattdessen werden im Brustkrebsmonat Oktober von Promis rosa Schleifchen, Teddybären und Flamingos verteilt.

Frauen sollten informiert entscheiden können

Der Auftrag der Medien, gerade der öffentlich-rechtlichen, wäre eigentlich, die Bürger über wissenschaftliche Erkenntnisse zu unterrichten, die für ihr Leben wichtig sind. Zugleich berichten sie regelmäßig über neue Screening-Tests für Krebs, selbst wenn keine wissenschaftlichen Studien, sondern nur Geschäftsinteressen vorliegen, wie bei der „Weltsensation Bluttest“ der Universitätsklinik Heidelberg (siehe die „Unstatistik des Monats“ vom Februar 2019). Krebsscreening ist leider auch zu einem Milliarden-Geschäft mit der Angst vor dieser schrecklichen Erkrankung geworden. Die meisten Medien schweigen sich jedoch über die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus oder nehmen sie gar nicht zur Kenntnis. Frauen und Frauenorganisationen sollten sich das nicht mehr gefallen lassen und auf ihrem Recht bestehen, informiert entscheiden zu können, statt sich unbewusst von kommerziellen Interessen steuern zu lassen.

Wir sind neugierig, welche Medien über diese Unstatistik berichten werden.

--------------------

 

Ihre Ansprechpartner/in dazu:
Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, Tel.: (030) 805 88 519
Sabine Weiler (Kommunikation RWI), Tel.: 0201/ 8149-213, sabine.weiler@rwi-essen.de

 

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik.Unstatistik-Autorin Katharina Schüller ist zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unter www.data-literacy-charta.de abrufbar.

 

Neu erschienen: „Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich – Über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik“, das zweite Unstatistik-Buch (ISBN 9783593516080), erhältlich im Buchhandel zum Preis von 22 Euro.

 

Bei Weiterverbreitung von Texten aus der Reihe "Unstatistik des Monats" muss klar erkennbar sein, dass es sich um die Übernahme eines fremden Textes handelt. Zudem ist die Quelle https://www.unstatistik.de zu nennen. Bitte informieren Sie die Pressestelle des RWI über die Verwendung des Textes unter presse@rwi-essen.de. Das Urheberrecht bleibt bestehen.