Unstatistik des Monats Mai 2012: Die verlorenen Mädchen von Gorleben

Die Unstatistik des Monats Mai sind die „verlorenen Mädchen von Gorleben“. Anfang des Monats haben vermeintliche Defizite von Mädchengeburten rund um deutsche Atomanlagen die Medien bewegt. Besonders in der Nähe des Atomzwischenlagers Gorleben sei das Jungen-Mädchen-Verhältnis mit 109 zu 100 deutlich gestört. Eine Arbeitsgruppe um den Münchner Epidemiologen Hagen Scherb behauptet, daran sei die von diesen Atomanlagen ausgehende Strahlenbelastung schuld. Diese Behauptung wird durch die Fakten nicht belegt.

Atom
© Viktor Mildenberger / pixelio.de

Auf 100 geborene Mädchen kommen weltweit zwischen 102 und 109 Jungengeburten (von gewissen ostasiatischen Ländern abgesehen, wo Mädchen offensichtlich systematisch abgetrieben werden und der Jungenanteil nochmals höher ist). In den meisten Ländern schwankt diese Zahl zwischen 104 und 106. Für diese minimalen Veränderungen gibt es Dutzende bekannter Faktoren. So steigt etwa der Jungenanteil leicht mit dem Einkommen der Eltern oder dem Körpergewicht der Mutter. Dagegen nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Jungengeburt mit dem Alter der Mutter, der Zahl der Geschwister oder einer Umweltbelastung durch Pestizide ab. Daneben gibt es zahlreiche weitere Theorien, die mit den geringfügigen Schwankungen der Jungenquote gut vereinbar sind. In den Ländern Europas etwa korreliert der Jungenanteil positiv mit der Nähe zum Mittelmeer. In den meisten Fällen dürfte aber eine Variation der Jungenquote ein Produkt des Zufalls sein.

Allen systematischen Erklärungsversuchen ist gemeinsam, dass sie sich durch die vorliegenden Daten nie beweisen lassen. Bestenfalls lässt sich die Möglichkeit, dass all die genannten Faktoren einen Einfluss auf das Jungen-Mädchen-Verhältnis haben, nicht widerlegen. Die Theorie der Strahlenbelastung als Ursache erscheint aber besonders unplausibel, da die Strahlenbelastung aus natürlichen oder medizinischen Quellen diejenige aus Atomanlagen bei weitem übersteigt.